Worum geht es im systemischen Familienstellen?

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Mit diesen Worten beschreibt der jüdische Philosoph Martin Buber die Tiefe der menschlichen Existenz: Wir werden erst durch das Du, durch Beziehung, zum fühlenden, lebendigen Subjekt. Die Mutter bildet dabei die erste und innigste Ich-Du-Beziehung, der Vater ist zunächst nur indirekt anwesend. Das, was die Eltern in sich tragen wird von dem heranwachsenden Kind wahrgenommen. Unsere Familie ist damit der Ursprung all unserer Beziehungsfähigkeit und emotionalen Prägung. Gefühle erscheinen also nicht einfach als Reaktionen am Körper, sondern stehen als Beziehung zwischen zweien im Raum in einem größeren Zusammenhang mit einer eigenen inneren Dynamik. “Wie stehe ich dazu?”, “Wie stehst Du dazu?” sind Fragen, die auf diesen Zusammenhang hinweisen.

Wir leben in einer von den Ahnen geerbten Welt

Gerade als Kleinkind nehmen wir das, was in der Familie vorgefallen ist, als komplexen Gefühlseindruck wahr und auf, wobei die Spuren des Geschehens weit in die Vergangenheit und in frühere Generationen zurückreichen können, mit deren Schicksal wir unbewusst verbunden sind. Ist die Seele an ein Geschehen gebunden, das sie leidvoll und schicksalhaft ausagiert, z.B. indem sie getrieben ist, etwas sichtbar zu machen, was in der Familie vorgefallen ist und emotional verdrängt, verleugnet oder nicht angemessen anerkannt wurde, dann sprechen wir von einer Verstrickung. Verstrickungen enden, wenn das Anzuerkennende anerkannt worden ist und die Beteiligten wieder stimmig zueinander stehen. Anerkennung ist die Währung der Seele.

Das systemische Familienstellen ist eine Methode, diese im Emotionalkörper lebendigen Bindungen, Loyalitäten und Verstrickungen sichtbar zu machen. Es zeigt, wie emotionale Dynamiken unbewusst über Generationen hinweg weitergegeben werden, die dem Betroffenen im Vollzug seines Lebens unbewusst und rätselhaft in die Quere kommen.

Was ist eine Familienaufstellung?

In einer Aufstellung wird das innere Bild eines Familiensystems im Bezug auf ein Anliegen im Raum sichtbar gemacht, und zwar entweder durch Stellvertreter oder Zettel. Diese werden spontan und intuitiv im Raum platziert und zueinander ausgerichtet. Dabei treten emotionale Wahrheiten ans Licht, die dem bewussten Denken oft verborgen bleiben, aber gespürt werden. Es finden systemische Bewegungen statt und es werden Lösungssätze gesprochen.

Eine systemische Bewegung ist eine Ortsveränderung im Raum (links, rechts, neben oder einander gegenüber stehen, sich entfernen oder annähern) oder eine körperliche Geste (anschauen, auf den Boden blicken, sich verneigen, sich hinknien, umarmen etc.).

Ein Lösungssatz spricht die eigentliche emotionale Wahrheit des Geschehens aus (“Mama, ich hab Dich so vermisst.”) oder erkennt eine Ordnung an (“Das kann ich nicht für Dich tragen.”). Lösungssätze fühlen sich befreiend und stimmig an, wenn sie das Geschehen treffen.

Systemische Bewegungen und Lösungssätze können eine tiefgreifende Neuordnung im inneren Erleben auslösen und tatsächlich auch so etwas wie eine ethische Entwicklung, weil die wirklichen Konsequenzen von Handlungen jenseits abstrakter Debatten sichtbar werden. Ein Beispiel sind Abtreibungen.

Was ist eine Verstrickung?

Wenn ein Mensch ein Schicksal, eine Schuld oder ein Geheimnis in seiner Familie emotional mitträgt und ausagiert, spricht man von einer Verstrickung. Diese kann sich in vielfältiger Weise zeigen: in Stellvertreterkonflikten in Beziehungen oder beruflich (zum Beispiel Konflikte mit Vorgesetzten), diffusem, numinosem Leidensdruck (“Ich weiß nicht, wo mein Platz ist.”), Krankheit, wiederkehrenden belastenden Mustern im Leben oder einfach einer quälenden Beziehung zu Vater oder Mutter etc.

Folgende Dynamiken treten häufig auf:

  • Die unterbrochene Hinbewegung zur Mutter („Mama, Ich hab dich so vermisst“), wenn es eine räumliche oder emotionale Trennung von Mutter und Kind gegeben hat und die Hinbewegung auf das Leben in Misstrauen, Wut, Trotz, Ohnmacht und Erstarren umgeschlagen ist.

  • Die Lastenübernahme (“Ich für Dich.”), wenn ein Nachgeborener unbewusst versucht, etwas zu lösen, zu retten oder zu tragen, was in die Vergangenheit zu einem Vorfahren gehört und nur von diesem allein getragen werden kann. Dabei kann es vorkommen, dass ein Elternteil selbst die Last übergeben hat (“Du für mich.”), wenn es sich zum Beispiel schuldig für etwas fühlt.

  • Die Hereinholung der Ausgeschlossenen wie z. B. das Betrauern abgetriebener Kinder oder vergessener oder ausgeschlossener Familienmitglieder. Daraus kann der Trieb folgen, den Ausgeschlossenen im eigenen Leben gleichsam zu verkörpern und sein Schicksal nachzustellen.

  • Die Verwechslung der Ebenen („Ich bin der Große, du bist der Kleine“), bei der ein Nachgeborener nicht an der Stelle steht, wo der Segen in seine Richtung fließt. In manchen Fällen kann es sich dabei um eine Verschiebung handeln, wo sich ein Nachgeborener mit einem Vorfahren verwechselt.

  • Der verdeckte Todeswunsch, bei dem jemand um einen Toten trauert, in der Regel ein Ausgeschlossener, sehr häufig auch ein oder mehrere abgetriebene Kinder, und unbewusst in eine Selbstbestrafung und Niedergeschlagenheit verfällt und sein eigenes Leben unterschwellig untergräbt. Bei abgetriebenen Kindern trägt meistens die Mutter diese Last, manchmal auch der Vater.

  • Die Dynamiken in Partnerschaften.

Wichtig: Alle diese Dynamiken sind nicht stereotyp und von Aufstellung zu Aufstellung verschieden. Jede Aufstellung ist und bleibt einzigartig und unvorhersehbar.

  • Woraus die Dinge entstehen, da hinein vergehen sie auch wieder, denn sie leisten einander Abbitte für das Unrecht nach der Ordnung der Zeit.

    Anaximander von Milet (610-547 v.d.Z.)

Häufig gestellte Fragen zum Familienstellen

F: Welche Anliegen können im Rahmen einer Aufstellung bearbeitet werden?

A: Grundsätzlich alles, wo Energie drauf ist, also ein echter Leidensdruck. Man kann nicht sinnvoll aus Neugierde und ohne virulentes Anliegen aufstellen. Das Anliegen an sich ist immer ein intensiv präsentes Gefühl. Es ist nicht schlimm, wenn dieses erst einmal nur beschrieben werden kann. Wir arbeiten dann gemeinsam im Vorgespräch und dann im Prozess der Aufstellung den Kern heraus. Es liegt wie gesagt im Wesen der Sache, dass sich das, worum es geht, immer erst offenbaren muss.

Anliegen können

  • Entscheidungsfragen sein,

  • Fragen zu Blockaden im Beruf und bezüglich des Erfolgs im Leben,

  • Fragen, was hinter bestimmten Problemen in der Partnerschaft steht,

  • Fragen zu Blockaden in einem Unternehmen,

  • Leidensdruck durch Krankheiten,

  • wiederkehrende Konflikte,

  • Dynamiken in Patchwork-Familien,

  • Fragen zur Mutter- und Vaterbeziehung,

  • existentielle Fragen zum eigenen Platz etc.

F: Wer kann systemisch aufstellen?

A: Aufstellen können alle, die ein persönliches Anliegen haben. Man kann nur sein eigenes Anliegen aufstellen. Nicht das Anliegen von jemand anderem, auch wenn sich eine Aufstellung erfahrungsgemäß auch auf andere auswirken kann. Einzige Ausnahme: bis zum 10. Lebensjahr kann eine Mutter für ihr Kind aufstellen. Ältere Kinder und Jugendliche dürfen ihre Anliegen selbst in Auftrag geben.

F: Wie läuft eine systemische Familienaufstellung ab?

A: Ich arbeite unter professioneller Anleitung in Einzelarbeit. Gearbeitet wird mit Zetteln, die der Klient im Raum verteilt. Konkret beginnt der Prozess mit einem Vorgespräch per Telefon, in dem wir das Anliegen herausarbeiten und einen Termin vereinbaren. Viele Klienten berichten, dass mit der Entscheidung aufzustellen der Prozess bereits ins Rollen kommt. Die eigentliche Aufstellung findet in meinem Praxisraum in Berlin-Schöneberg statt und kann ein bis drei Stunden dauern, in seltenen Fällen länger. Im Anschluss an die Aufstellung empfehlen wir mindestens 21 Tage nicht über die Aufstellung zu sprechen, sondern sie einfach im inneren Raum wirken zu lassen. Für eine Integrationsgespräch nach ein bis zwei Monaten stehen wir telefonisch zur Verfügung.