Systemisches Familienstellen nach Hellinger

“Alles wirkliche Leben ist Begegnung.”

Martin Buber

Wer gehört zum

Was kann man Aufstellen?

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Mit diesen Worten beschreibt der jüdische Philosoph Martin Buber die Tiefe menschlicher Existenz: Wir werden erst durch das Du – durch Beziehung – zum fühlenden, lebendigen Subjekt. In diesem Licht betrachtet, ist unsere Familie nicht nur Herkunft, sondern der Ursprung all unserer Beziehungsfähigkeit und emotionalen Prägung. Hier beginnt die innigste Form des Ich-Du-Verhältnisses – mit Mutter und Vater.

Das systemische Familienstellen ist eine Methode, um diese unsichtbaren Bindungen, Loyalitäten und oft auch Verstrickungen sichtbar zu machen. Es zeigt, wie emotionale Dynamiken unbewusst über Generationen hinweg weitergegeben werden – in Gefühlen, Haltungen, Entscheidungen, sogar in Symptomen oder Krankheiten.

Was ist eine Familienaufstellung?

In einer Aufstellung wird das innere Bild eines Familiensystems im Raum sichtbar gemacht – durch Stellvertreter:innen, Zettel oder andere Hilfsmittel. Dabei treten emotionale Wahrheiten ans Licht, die dem bewussten Denken oft verborgen bleiben. Systemische Bewegungen und Lösungssätze wie z. B. eine Verneigung, das Aussprechen von „Ich lasse es bei dir“ oder „Jetzt bin ich da und ich bleibe“ ermöglichen eine tiefgreifende Neuordnung im inneren Erleben – und im Leben.

Verstrickungen erkennen – und lösen

Wenn ein Mensch ein Schicksal, eine Schuld oder ein Geheimnis in seiner Familie mitträgt, spricht man von einer Verstrickung. Diese kann sich auf vielfältige Weise zeigen: in Beziehungsproblemen, unerklärlichem Leidensdruck, Krankheit, innerer Leere oder immer wiederkehrenden Mustern. Die Aufstellungsarbeit führt hier zu einer tiefen Erkenntnis: Bindung wirkt stärker als Bewusstsein.

Typische Dynamiken sind:

  • Die unterbrochene Hinbewegung zur Mutter („Ich hab dich so vermisst…“)

  • Übernommene Lasten („Ich trage das für dich…“)

  • Ausschlüsse (z. B. ein abgetriebenes Kind oder ein vergessener Großvater)

  • Verwechslung von Ebenen („Ich bin die Große, du bist die Kleine“)

Wer gehört zum Familiensystem?

Weit mehr, als man denkt:

  • Eltern, Geschwister (auch Tot- oder Fehlgeborene), Ahnen

  • Frühere Partner:innen der Eltern

  • Menschen, auf deren Kosten die Familie einen Vorteil hatte (oder umgekehrt)

  • Opfer und Täter in der Familiengeschichte

  • Auch Unternehmen, Länder, Ideologien – alles, was emotionale Bindung erzeugt

Die Ordnung der Liebe

Die systemische Arbeit bringt verborgene Ordnungen ans Licht:

  • Die Älteren kommen vor den Jüngeren.

  • Geben und Nehmen müssen auf Augenhöhe geschehen (z. B. in Partnerschaft).

  • Kinder nehmen – und geben weiter. Sie geben nicht an die Eltern zurück.

  • Schuld darf anerkannt werden, statt verdrängt.

  • Jede*r hat einen Platz. Auch die Verstoßenen.

Was wirkt in einer Aufstellung?

  • Systemische Bewegungen (Verneigungen, Umarmungen, Distanzen)

  • Heilsätze wie:
    „Du gehörst auch dazu.“
    „Ich achte dein Schicksal.“
    „Ich nehme das Leben, so wie es gekommen ist.“
    „Ich für mich. Du bist frei.“

Diese einfachen Sätze wirken oft tiefer als viele Worte – weil sie eine tiefe Wahrheit anerkennen.

Ethik und Demut

Systemisches Stellen lehrt eine Ethik der Anerkennung: Jeder gehört dazu. Jeder will gesehen werden. Auch Täter-Opfer-Dynamiken tragen in sich den Impuls zur Versöhnung, zur Wandlung durch Liebe. Die Methode zeigt, wie eng Schuld, Gewissen und Zugehörigkeit miteinander verflochten sind – und wie sich das lösen kann, was tief gebunden ist.

„Was wirklich zählt, ist nicht, was geschehen ist, sondern wie wir heute damit in Beziehung treten.“

Persönlicher Zugang

Ich selbst kam durch meine Mutter zur Aufstellungsarbeit. Seit vielen Jahren begleite ich gemeinsam mit ihr Menschen in Familienaufstellungen und bin in unzähligen Systemen gestanden. Das, was ich teile, entspringt nicht nur Theorie, sondern direkter Erfahrung: ehrlicher Begegnung mit menschlicher Tiefe, Schmerz, Liebe – und Heilung.

Buchempfehlungen:

Sophie Hellinger, Das eigene Glück – Grundlagen zum Familienstellen Band 1 & 2, Bischofswiesen 2019.

Bert Hellinger, Glück, das bleibt – Wie Beziehungen gelingen, Stuttgart 2008.

Amélie de Branges de Bourcia (geb. 1954) ist Malerin, Systemische Familienaufstellerin nach Bert Hellinger und Cosmic PowerTM Kursleiterin für die Hellinger Schule.